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Die französischsprachige Paulus-Exegese entwickelte sich seit der Reformation in einem einzigartigen Spannungsfeld: geprägt von der katholischen Verankerung Frankreichs, dem Einfluss protestantischer Nachbarn und einer engen, oft konfliktreichen Beziehung zur deutschen Wissenschaftstradition. Die metaphorische „Séparée“, die einerseits abgeschottet, andererseits offen für äußere Impulse ist, beschreibt treffend den Charakter dieser Forschung. Richard Simon begründete eine kritische Exegese, die jedoch durch den Gallikanismus und konservative katholische Kräfte wie Bossuet stark eingegrenzt wurde. Statt einer freien Bibelkritik dominierte eine defensive Haltung, wie sie in Lehrbüchern von Janssens oder Glaire zum Ausdruck kam, die weniger den Text als vielmehr apologetische Fragestellungen behandelten. Ein Wendepunkt kam mit Ernest Renan, der Paulus als psychologisch greifbare Figur in einem narrativen, literarischen Stil darstellte, der tiefgreifende Einflüsse auf die spätere Exegese hatte, selbst bei seinen Gegnern wie Constant Fouard. Mit Ferdinand Prat entstand ein neues Genre, die intellektuelle Biographie, die sich auf die theologische Entwicklung von Paulus konzentrierte, eingebettet in einen konfessionellen Rahmen. Lucien Cerfaux führte diese Linie weiter, indem er die Evolution von Paulus’ Denken betonte, die eng mit den historischen und spirituellen Herausforderungen seiner Zeit verknüpft war. Im 21. Jahrhundert brachte Alain Badiou eine philosophische Neuinterpretation, die Paulus als Denker des universellen Ereignisses und als Antwort auf moderne Herausforderungen wie Kapitalismus und Identitätspolitik positionierte. Diese Vielfalt zeigt die dynamische Entwicklung einer Exegese, die von vorsichtigen theologischen Ansätzen bis zu mutigen, zeitgenössischen Lesarten reicht und stets ihre Eigenständigkeit bewahrt. |